Kindheit an der Aa
Andreas Eiynck erinnert sich an das alte Borken
Andreas Eiynck erinnert sich an das alte Borken
Eigentlich sind wir Ur-Coesfelder, aber von meinem ersten bis zum zehnten Lebensjahr (1962 bis 1970) wohnten wir in Borken, erst an der Raesfelder Straße und später an der Kardinal-von-Galen-Straße. Und wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir auch gerne in Borken bleiben können. Weil der Abschied von Borken in diesen Tagen genau 50 Jahre zurückliegt, will ich einige meiner Erinnerungen einmal aufschreiben.
Gerne denke ich zurück an die Zeit im Kindergarten an der Johann-Walling-Straße bei Fräulein Brigitte und auch an die Schulzeit an der Johann-Walling-Schule. Damals prägten Schulreformen den Alltag von Schülern und Lehrern, und auch der neu eingeführte Sexualkundeunterricht (man lernte nun offiziell, dass es zweierlei Geschlecht gab) sorgt bei manchen für Bauchschmerzen, bei anderen für Kopfschmerzen, bei den Schülern für Heiterkeit. Lehrer Ehlker machte mit uns Klassenwanderungen in die Umgebung und Frau Grömping sorgte für flottes 1×1 sowie korrekte Rechtschreibung. Schönschrift gab es auch noch, bei Fräulein Tilly.
Ideale Spielmöglich gab es in unserer Nachbarschaft an der Aa. Man konnte sich unter der Kanonenbrücke verstecken, oder die Rampe zur Aa herunterrutschen, über die im Winter die Anwohner den geräumten Schnee in den Fluss rutschen ließen.
Spannend war auch die benachbarte Innenstadt, die damals größtenteils schon wiederaufgebaut war. Viele Klassenkameraden, darunter mein Freund Dieter Ebbing, wohnten am Kuhm und kannten sich in Borken bestens aus. Einmal im Jahr war dort auch Maitremsenfest und im Winter konnte man auf dem Papendiek Schlittschuhlaufen.
Unser liebster Spielplatz war jedoch der großzügig angelegte Stadtpark und dort ganz besonders die „Halbinsel“ am Zusammenfluss von Döringbach und Borkener Aa. Dort stand eine große, alte Trauerweide, unter deren tief herabhängenden Zweigen wir uns wunderbar verstecken konnten. Von dort aus hatte man einen guten Blick auf die Brücke an der Mühlenstraße, wobei der damalige Autoverkehr noch vergleichsweise verhalten war. Auch die zur Aa hin gelegene Werkstatt der Fahrradhandlung van der Beck bot immer interessante Einblicke.
Am stadtseitigen Ufer stand die alte Gaststätte Walters – mein Vater kannte den Wirt, der auch aus Coesfeld stammte. Einige alte Häuser an der Mühlenstraße hatte der Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg verschont. Sie ragten nun weit in die beim Wiederaufbau der Stadt breiter angelegten Straßenräume. Doch damals wurden sie nicht etwa unter Denkmalschutz gestellt, sondern nach und nach abgebrochen, um die Straßen zu verbreitern.
Irgendwann Ende der 60er Jahre – ich konnte mittlerweile schon lesen – stand dann in der Borkener Zeitung, dass nun auch die die alte Mühle an der Aa der Abrissbirne zum Opfer fallen sollte. Viele Borkener waren dagegen, ich auch, und es gab sogar eine Bürgerversammlung in dieser Sache. Dort wurden wir aber nicht eingelassen, weil wir ja noch Kinder seien. Was ging uns da die Zukunft der Vergangenheit der Stadt an?
An uns hat es jedenfalls nicht gelegen, dass schließlich der Bagger anrückte. Aus der alten Mühle wurde ein stylischer Mühlenort mit Pergola und Mühlstein – da hätte man die alte Mühle ja gleich stehen lassen können und sie hätte auch noch den Straßenverkehr beruhigt.
Die Gaststätte Walters musste ebenfalls dran glauben, und vor ein paar Jahren dann sogar unsere alte Weide.
Jetzt habe ich auch gesehen, warum. An einem lauschigen Sommerabend im Juni 2020 schlenderte ich nach 50 Jahren noch einmal durch die alten Gassen von damals. Am Kuhm und an der Turmstraße wohnt man immer noch ganz schön und rings um den Marktplatz konnte man auch ganz nett sitzen. Noch einmal durch die alte Vennestraße – den Weg zu unserer ersten Wohnung. Upps – die gibt’s nicht mehr. Stattdessen ein kurioses Einkaufszentrum am südlichen Ende dessen, was einmal die Altstadt war. Gemeinsam mit dem benachbarten Parkhaus und dem Krankenhaus möglicherweise funktionaler, aber letztlich doch monströser Betonkomplex. Ob es daran liegt, dass die Leute lieber bei Bonceur am Kornmarkt, dem einzigen verbliebenen Altbau in diesem Stadtquartier, sitzen?
Jetzt fehlte nur noch die Asphaltpiste vom Vennetor zur Heidener Straße. Sie kommt! Unsere alte Halbinsel wurde kurzerhand verkleinert und die schöne alte Trauerweide ist natürlich auch weg.
Es braucht Platz für „Planungsvariante 4“, eine großzügige Lösung mit einem neuen Kreisverkehr und einer neuen Brücke. Für die Autos natürlich. Schön, so direkt am Stadtpark, und schön auch für eilige Autofahrer, die demnächst noch schneller an der Remigiuskirche vorbeisausen können. Und bestimmt auch ganz wichtig angesichts des erhöhten Verkehrsaufkommens in der Mönkenstiege. Alles andere wäre den Autofahrern auch unzumutbar.
Meinetwegen können die in Borken ja bauen, was die wollen. Aber schön, lieber Stadtväter (und Stadtmütter), schön ist das an dieser Stelle wirklich nicht.
Und auch wenn die Mitte des Kreisverkehrs am Ende mit einer Tafel mit dem Stadtwappen verziert werden soll – behutsamer Umgang mit einem historischen Stadtbild sieht anders aus. Damals wie heute.
Anschrift des Autors:
Pontanusstr. 3, 49809 Lingen
Das Foto entstand im Dezember 2007 am Pröbstingsee an einem frostigen Morgen. Der Baum sieht bescheiden aus gegenüber der mächtigen Trauerweide auf der „Aa-Halbinsel“ im Borkener Stadtpark, die für das Straßenbauprojekt über die Aa gefällt wurde.
Hat jemand noch ein Foto von der ehemaligen Trauerweide am Rande des Stadtparks? Der Heimatverein würde sich über einen Hinweis freuen. BF