Wenn man heute seitlich am Marktplatz an der ehemaligen Heilig-Geist-Kirche steht und auf die Eisdiele „Venezia“ schaut, ahnt man nicht, dass sie sich dort befindet, wo vor 100 Jahren einmal ein großes spätmittelalterliches Gebäude stand, das nach dem 30-jährigen Krieg dem Johanniter-Orden gehörte.
Schon im frühen 16. Jh. zeichnete sich ab, dass die Blütezeit des Johanniter-Ordens ihren Höhepunkt überschritten hatte – in Borken wie auch anderswo: Auswirkungen auch der Reformation. In der Folgezeit dienten die noch bestehenden Kommenden in erster Linie dazu, nachgeborene Söhne des Adels, die sich als Ordensritter bewährt hatten, mit dem Amt eines Komturs und den damit verbundenen Einkünften zu versorgen. „Erfolgreiche“ Komture übernahmen gleich mehrere Kommenden.
Die Borkener Kommende hatte besonders unter den Folgen des Dreißigjährigen Krieges zu leiden, als die Stadt lange Zeit von fremden Truppen besetzt war. Schon 1623 verwüsteten kaiserliche Soldaten das Archiv (1) des nach dem Weggang der letzten Konventualen nach Wesel (vermutlich schon vor 1600) leer stehenden Ordenshauses. Die Hessen, die ihnen einige Jahre später folgten, enteigneten kurzerhand den gesamten Komplex mit Kirche, Ordenshaus und Wirtschaftsgebäuden, gaben ihn aber bald zurück.
Bis zum Ende des Krieges geriet er in einen derart ruinösen Zustand, dass der Schreiber des 1662 erstellten Visitationsprotokolls von einem „Steinhaufen“ sprach. Sich seiner zu entledigen – einschließlich der nicht unbeträchtlichen Verpflichtungen zu Armenspeisungen und zum Lesen von Gedächtnismessen – war bald Ziel des Ordens.
Die Johanniter erhielten von den Kapuzinern einen Ersatz für ihre altes Ordenshaus: ein stattliches zweigeschossiges Renaissancegebäude samt Scheune und Garten. Noch während des Dreißigjährigen Krieges war es Eigentum des Bürgermeisters Tyman Schweder; nach dessen Tod verkaufte es die Witwe zunächst an die Kapuziner, die es an die Johanniter weitergaben.
Im neuen Haus der Kommende fand geistliches Leben, wie es z.B. aus dem Visitationsprotokoll von 1495 nachzuvollziehen ist, nicht mehr statt, da dort keine Ordensmitglieder wohnten und eine Kapelle nicht mehr vorhanden war. Lediglich dann, wenn der Komtur in Borken weilte und seine Amtsgeschäfte erledigte, war ein Hauch der ehemaligen Größe spürbar; dazu zählte sicherlich das Vorrecht, in den Borkener Kirchen an bevorzugter Stelle Platz nehmen zu dürfen.
Darüber hinaus war der jeweilige Rentmeister, dem die Komture die Alltagsarbeit, d.h. die Verwaltung aller Einnahmen und Ausgaben oder die Verhandlungen mit den Pächtern und Hof-„Besitzern“ überließen, für beide Standorte verantwortlich. Er pachtete die Kommende gegen strenge Auflagen sowie die Zahlung einer Geldsumme und nahm dort seine Wohnung. „Ein Hausz, in dem Renthemeister wohnet“, heißt es immer wieder in den Lagerbüchern. Dass er auch darauf achtete, die zur Kommende gehörigen Gebäude in einem guten Zustand zu halten – wozu die Hofbesitzer verpflichtet waren –, versteht sich von selbst.
(1) Vgl. Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, Wesel Johanniter – Akten Nr. 1c.
Die Scheune der Kommende an der Heilig-Geist-Straße. Aufnahme um 1900.
Im Visitationsprotokoll aus dem Jahr 1800 heißt es bezügl. der Scheune: „Neben dem Hauße, dem Höfgen und Garten nach stehet die Scheuer, welche mit einem ganz eichenen Tachstuhle versehen ist, und worin zwei Schweineställe, ein Kühestall zu zwei Stück und ein Pferdestall“ sind. (Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland, Wesel Johanniter, Akten, Nr. 2).
Auszug aus: Rudolf Koormann, „Vertraue, aber prüfe nach“. Die Visitationsprotokolle der Borkener Johanniterkommende, Borken (Heimatverein Borken e.V.) 2013
Zu diesem Haus (Foto: um 1900), das 1929 bis Ende des Zweiten Weltkrieges das „Heimatmuseum“ beherbergte, gehörten auch Nebengebäude wie eine größere Scheune („Scheure“) als Lagergebäude:
Lageplan der Kommende im Winkel von Großer Brinkstraße (heute: Heilig-Geist-Straße) und Kleiner Brinkstraße (heute: Commende), gezeichnet von Martin Leenen nach einer Vorlage aus dem Hofkartenband von 1773 (Fürstlich Salm-Salm‘sches Archiv Anholt).
Darin heißt es:
„Ein Hausz worin der Renthe meister wohnet, gegenüber des Heiligen Geist oder Große Brinck Strasse belegen, vor und neben mit einer auff- und ausgehenden Thuer, gegen West die Newe oder Kleine Brinck Strasse. Süd Pilacks verwuestes hausz und Kannegieters hausz, Ost Posthalter Kettelhack haus. Gross hausz, Scheure, Garten, höffgen und holtshäusgen, 2 Spint 3 Becher.“ (Hofkartenband von 1773, Fürstl. Salm-Salm‘sches Archiv Anholt)