Feiern mit Sackhüpfen und Eierlaufen
Erinnerungen an die Noaberfeste nach dem Zweiten Weltkrieg
Erinnerungen an die Noaberfeste nach dem Zweiten Weltkrieg
Die Nachbarschaft hatte eine große Bedeutung am Dülmener Weg. Die Gildeherren kümmerten sich darum, daß die Aufgaben der Nachbarn, wie Bogensetzen, Sarg tragen und andere Verpflichtungen ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Wichtig war die Ausrichtung des Nachbarfestes. Daran wurden die Gildeherren gemessen.
Das Nachbarfest war ein großes Ereignis für Jung und Alt. Nach dem Krieg feierten wir das Fest im Gefolgsschaftsheim der Weberei Bierbaum an der Heidener Straße. Der große Saal wurde mit Maien geschmückt. Das Nachbarfest begann mit Kaffee und Kuchen für die Erwachsenen, und mit Kakao und Kuchen für die Kinder. Nach dem Kaffeetrinken kam die Kinderbelustigung, wie Sackhüpfen, Eierlaufen und Kreisspielen. Ein Nachbar hatte sich spezialisiert auf Wurstschnappen. Eine Wurst hing an einer Schnur am Galgen und mehrere Kinder mußten gleichzeitig nach der Wurst springen, um ein Stück in den Mund zu bekommen und abzubeißen. Nur, dieser kinderliebe Nachbar konnte die Wurst hochziehen. Wenn jemand gerade die Wurst im Mund hatte, schwupps – baumelte die Wurst wieder über den Köpfen der Kinder. Das erfreute ihn übermäßig und sein schäbiges Lachen habe ich bis heute noch im Ohr. Erst wenn die Wurst in mehreren Mündern gelandet war, ließ er jemanden ein Stück erhaschen. Diese Sauerei habe ich nur einmal mitgemacht und nie wieder.
Höhepunkt waren die Darbietungen von Zauberer Mels. Irgendwann kam die Musik, das waren Grömping mit Akkordeon und Hans N. mit Schlagzeug. Er sang durch eine Flüstertüte. Die Flüstertüte ist gleichzeitig Mikrofon und Lautsprecher aber rein akustisch, ohne Strom. Der Gesang klang dann wie in den 20er Jahren, so nasal. „Rrrrote Rrrosen, rrrote Lippen, rrroter Wein, laddden dich ein, laddden dich ein … – In der Sahara, ist es gemüntlich, in der Sahara, ist es so schön.“ Ein Schlager war damals auch: „Wirr sind die Eingeborenen von Trrizonesien“ – das alte Westdeutschland war zunächst in zwei, seit 1948 in drei Besatzungszonen eingeteilt – „heidi-tschimmela-tschimmela-tschimmela-tschimmela-bumm.“ oder: „Heide-witzka, Herr Kappitään, im Möllemmer Böötschen fahren mir so jään…“
Es wurde dann auch schon mal ein Tänzchen gewagt. Der beste Tänzer war Opa Mels, der ließ es sich nicht nehmen, seine verwitwete Schwiegertochter und seine unverheiratete Tochter Mariechen elegant durch den Saal zu bewegen.
Wir Kinder tranken Regina, die Erwachsenen Bier, Korn, Wacholder und Likörchen. Damals wurde viel Likör getrunken: Kakao mit Nuß, Vanillelikör, Zitroneneislikör, Kirschmännchen, Apricot, Pfefferminzlikör und was weiß ich noch. Die Bewirtung hatte Tito Hagedorn. Die Schnäpse und Liköre kamen von meinem Vater, der machte die besten Spirituosen weit und breit.
Zum Abendessen ging man zwischendurch mit Musikbegleitung nach Hause. Das war auch wohl richtig so, denn einige Nachbarn hatten es schon „begreppen“, hatten schon gut einen intus und wurden von ihren Frauen am Kanthaken abgeschleppt. Nach dem Essen holte die Musik die Nachbarn ab und es ging frisch gestärkt und teilweise neutralisiert wieder zum Gefolgschaftsheim, um weiter zu feiern. Wir Kinder gingen nicht mehr mit.
Und wenn nicht einer, der bei der BUNA beschäftigt war, von den Chemischen Werken Methyl-Alkohol mitgebracht hätte, wäre es auch nicht zu Stänkereien gekommen, die so haarscharf an einer Schlägerei vorbeigingen. Ansonsten war das Noaberfest harmonisch, wie immer.